“The year 297 of Friðaröld, The Age of Peace”
..so der erste Satz in Shadow of Gods von John Gwynne. Eine erste Vorahnung macht sich breit, die nächsten Seiten bestätigen diese: “Och nööö”. Nachdem ich mich erst im Dezember/Januar durch die First Law Trilogie, die zugehörigen Romane und Kurzgeschichten, sowie The Age of Madness von Joe Abercrombie mit viel Freude gearbeitet, sowie mich dann noch in Assassin’s Creed Valhalla vertieft habe….da hatte und habe ich ersteinmal genug von allem was mit Wikinger, Nordmänner, Langhäusern, Drachenbooten zu tun hat.
Also ein eher missmutiger Einstieg in die Bloodsworn Saga, aber zum Glück war mein Vertrauen in die Fähigkeiten des Autors dann doch stark genug um mich zum Weiterlesen zu bewegen.
Das Setting, mitsamt der Sprachen, des Gesellschaftssystems und der Götterwelt lehnt sich dann auch stark an die nordischen Vorbilder aus Realität und Mythos an, aber entfernt sich dabei weit genug von diesen, so dass es sich nicht wie ein DejaVu anfühlt.
Die Welt, genauer Vigrið, von Shadow of the Gods befindet sich in dem “Age of Peace”, die Zeit nach der großen Schlacht in der die alten Götter fielen und die Welt erneuert wurde. (Siehe auch: Raganrök ) Doch diese Götter haben deutliche, teilweise physische Spuren in der Welt hinterlassen und sind mehr als nur Erzählungen und Mythen einer vergangenen Zeit. Die Spuren, die die Götter in den Menschen hinterlassen haben, die phantastischen , aber realen, vaesen, wie zum Beispiel Trolle oder die zähnefressenden (!) tennúr und die “nordischen” Gesellschaftsstruktur rührt Gwynne zu einer interessanten Mischung zusammen. So existiert beispielsweise eine ganze Stadt in dem Schädel eines toten Gottes. Für mich ist die Welt, zumindest im ersten Band, der Star von The Shadow of the Gods.
Generell bedient sich der erste Band (der Zweite erscheint wohl bereits 2022, der Dritte vermutlich 2023) dem bewährten Mittel der Multiperspektivität: Erzählt wird aus Sicht der Söldnerin Elvar, der Bäuerin Orka, und dem entlaufenen unfreien Knecht (Thrall) Varg, deren Wege sich erst zum Schluss teilweise kreuzen. Wem das jetzt etwas dröge klingt, dem sei versichert: Hinter jedem Charakter steckt wesentlich mehr, mysteröse Vorgeschichten und zu Beginn noch unbekannte Hintergründe und Eigenschaften entblättern sich im Verlauf des Buches.
Die Charaktere sind an sich nicht uninteressant, aber mich holen sie nicht ab. Ich fühle mich ihnen nicht verbunden, mich interessiert ihr Schicksal nur im Sinne der Gesamtgeschichte, ihre eigenen Schicksale lassen mich fast vollständig kalt. Es werden auch einige Begleitcharaktere eingeführt, aber sie umweht meistens das G’schmäckle von Redshirts und/oder Statisten, nur da um den drei Protagonisten für die Charakterzeichnung eine Reflektionsfläche zu geben. Wer Angst vor zerschmetternde Abgänge von liebgewonnenen Personen hat kann übrigens ruhigen Gewissens zugreifen. Alles safe!
Viele Reviewer bemängelten, dass das Buch zu gemächlich und langsam in die Puschen kommen würde. Die Handlung überschlägt sich tatsächlich im ersten Drittel nicht gerade, aber mich hat dies Aufgrund des in dieser Zeit stattfindenden Worldbuildings überhaupt nicht gestört. Im letzten Drittel gibt es deutlich mehr Action und endet mit guten, wenn auch teilweise vorhersehbaren, offenen Enden.
Sprachlich ist das Buch meist kurz, prägnant und auf den Punkt; es liest sich wunderbar rund und flüssig. Die Erzählung ist durchsetzt mit altnordischen (??) Begriffen, Phrasen und Aussprüchen, welche aber nicht übersetzt werden – der Kontext muss aussreichen; auch ein Glossar fehlt leider.
Cover:
Joa, ein gigantischer Drache, welcher einem Krieger oder einer Kriegerin gegen übersteht. Kommt schon irgendwie ein bisschen so vor, aber nicht so wirklich. Auch das Erscheinungsbild des Drachens passt nicht so ganz:
The dragon’s body was thin and emaciated, ribs stark through pallid scales, almost white and translucent with dark patches of rot and weeping yellow pus. Her jaws were wide and razored with teeth longer than spears, pale horns rowed and curling upon her head.
Die Mitglieder des Ordens der hölzernen Klischeekeule werden zwar nicht jubilieren und jauchzen, aber doch anerkennd nicken.
Angesichts der doch recht gelungenen Cover von The Faithful and the Fallen und Of Blood and Bone für mich ein Rückschritt in Richtung Effekthascherei.
Als Analogie des einzelnen Menschen, der einem scheinbar unüberwindbaren Gegner in Form von Göttern, Gesellschaft und Geschichte gegenüber steht, funktioniert es allerdings.
Fazit:
Für Fans von High Fantasy nach Gemmelscher Bauart ist dies Buch eine deutliche Empfehlung. Mark Lawrence hat es in seinem Review bei Goodreads gut zum Ausdruck gebracht.
John Gwynne is very definitely the closest we have to an inheritor of David Gemmell’s mantle as master of heroic fantasy with grit and heart.
Dies lässt sich auch in Bezug auf die anderen Reihen des Autors sagen, auch dort hatte ich viel zu meckern. Aber nichtsdestotrotz lese ich John Gwynne sehr gerne. Es ist fast schon entspannend und verspricht 2-3 Abende solide Fantasyunterhaltung. Den Hauptabzug gibt es für die (noch) schwachen Charaktere. Ich bin gespannt ob Gwynne sich hier noch steigern kann.
Wertung: 6.5/10